Dienstag, 16. Mai 2006

Remediation

Professor Schmale erwähnte in der M4 Vorlesung vom 30.März den Begriff der „Remediation“ (vgl. Protokoll der Vorlesung auf Isabella Lehners Blog). Darunter versteht man grob gesagt, dass ein Medium durch ein anderes Medium wiedergegeben wird. Wenn man diesen Gedanken weiterdenkt, so ergibt sich im Umkehrschluss, dass kein Medium ohne Rückgriffe auf andere, bereits existierende Medien auskommen kann. Dieser Gedanke ist natürlich besonders in Bezug auf „neue“ Medien interessant. Es ergibt sich ja daraus nicht zuletzt die Überlegung, was denn nun so neu an neuen Medien sei. Diese lösen die bereits vorhandenen Medien ja nicht ab, sondern entwickeln sie in gewissem Sinne weiter.

In Bezug auf das Web heißt das beispielsweise, dass bereits vorhandene Medien durch technologische Neuerungen adaptiert werden und in das neue Konzept einfließen. Des Weiteren erschließen sich auch ästhetische Möglichkeiten, etwa bei der farblichen Präsentation einer Seite, die wie bereits in meinem Beitrag über E-Medienkompetenz erwähnt, zusätzliche Kompetenzen erfordern. Das Spezifische an neuen Medien ist aber nicht die tatsächliche Neuerung, sondern vielmehr die Art, wie andere Medien rezipiert und imitiert werden. Die Medientheoretiker Bolter und Grusin haben sich in ihrer Forschungsarbeit intensiv mit der Beziehung zwischen alten und neuen Medien auseinandergesetzt. Sie kommen zu dem Schluss, dass Remediation die Strategie ist, innerhalb eines Mediums nicht das schlichte Thema eines anderen Mediums zu repräsentieren, sondern das Medium selbst.

Was bedeuten diese theoretischen Äußerungen nun für die Bewertung von Webangeboten, insbesondere von solchen mit geschichtswissenschaftlichen Inhalt? Remediation in Bezug auf neue Medien bedeutet gerade für die Geschichtswissenschaft eine große Chance. Schließlich liegt das Hauptaugenmerk der historischen Forschung auf der direkten Arbeit an Quellenmaterial. Dieses Material ist – je nach Forschungsgebiet – oft hunderte Jahre alt und befindet sich nicht selten in Archiven im Ausland. Der Zugang zu diesen Quellen ist nun in den meisten Fällen mit einem enormen zeitlichen wie finanziellen Aufwand verbunden. Durch die technologischen Neuerungen der letzten Jahre ist es nun aber möglich, etwa eine Online-Datenbank zu erstellen und sie systematisch mit dem vor Ort vorhandenen Quellenmaterial zu befüllen, das dann weltweit zugänglich ist. Barbara Litsauer beschreibt als Beispiel in ihrem Kommentar über Remediation die schweizerische Stiftsbibliothek Sankt Gallen. Der Besucher erhält hier die Möglichkeit, ein Faksimile der originalen Quelle einzusehen und zusätzlich auch noch Elemente einer kritischen Ausgabe einzublenden – ein gutes Beispiel für gelungene Remediation.

Viele der von mir auf meinem eigenen Blog vorgestellten Webseiten enthalten ebenso Beispiele von Remediation. Die Verbindung einer remediatisierten Originalquelle mit neuen technologischen Möglichkeiten wäre beim Online zugänglichen Tagebuch der Hebamme Martha Ballard auf DoHistory.org ersichtlich. Ein Faksimile jeder Seite des Tagebuches ist zugänglich, hat man aber Schwierigkeiten mit dem Lesen der Handschrift kann man problemlos ein Java-Applet mit der passenden Transkription hinzuschalten. Eine bloße Transkription eines historischen Dokuments hingegen – wie etwa eines Buches – ist kein Beispiel für Remediation. Um wieder auf Bolter und Grusin zurückzukommen, wäre hier nur das Thema des Mediums wiedergegeben, nicht aber das Medium selbst.

Die Bedeutung der Nutzung von neuen Medien um andere zu präsentieren kann gerade für die geschichtswissenschaftliche Forschung nicht genug geschätzt werden. Schließlich wird dadurch der Zugang zu historischen Quellen erheblich erleichtert. Zusätzlich wird die Quelle vor Abnützung und Beschädigung bewahrt, was gerade bei mittelalterlichem Quellenmaterial wie in der Stiftsbibliothek Sankt Gallen äußerst wertvoll ist. Schließlich muss aber darauf hingewiesen werden, dass durch das Verschmelzen von historischem Material mit neuen technologischen Möglichkeiten erst etwas Neues entsteht. Eine bloße Transformation eines Mediums in ein anderes allein genügt nicht.

Literaturtipp:
Bolter Jay David, Grusin Richard, Remediation. Understanding New Media, MIT Press 1999

Links:
Protokoll der Vorlesung vom 30.März auf Isabella Lehners Blog
Kommentar über Remediation auf Barbara Litsauers Blog
Das Tagebuch der Martha Ballard auf DoHistory.org
Online-Stiftsbibliothek Sankt Gallen

Pumbergers Blog

zur M4 Vorlesung

User Status

Sie sind derzeit nicht angemeldet.

Pumbergers Beiträge

Geschiten besser
ich fande es vorher auch viel besser.
HGH und Daniel (Gast) - Sa, 27. Okt, 00:29
Noch ein Kommentar für...
Auch ich habe in diesem Weblog regelmäßig mitgelesen...
Christa (Gast) - Do, 10. Aug, 23:53
Kommentar Schmale
Lieber Herr Pumberger, Ihre Weblogs wurden gelesen,...
Schmale - Di, 1. Aug, 16:15
das erste kommentar für...
na klar hab ich bei den anderen weblogs mitgelesen....
LaFlaca (Gast) - Di, 1. Aug, 10:54
Kommentar zur Variante...
Der letzte Beitrag muss sich natürlich mit der Vorlesung...
stephan.pumberger - So, 30. Jul, 23:23

Suche

 

Status

Online seit 6644 Tagen
Zuletzt aktualisiert: Sa, 27. Okt, 00:29

Impressum

Stephan Pumberger (Wien) a0156272@unet.univie.ac.at

Frankreich
Neue Medien
Oesterreich
Shoa
USA
Zeitgeschichte
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren